Interview mit Dr. Y. M., Leiter F&E

Dr. Y. M., 40, ist Leiter einer Forschungsabteilung eines großen deutschen Chemiekonzerns in China. Er ist in China aufgewachsen und hat Studien- und Arbeitserfahrung sowohl in China als auch in Deutschland. Dr. Y. M. hat berufliche als auch persönliche Erfahrungen mit uns geteilt.

Sie arbeiten in der Chemiebranche. Wie wir alle wissen, hat die Chemieindustrie Vieles in unserem Alltag einfacher und besser gemacht. Auf der anderen Seite birgt sie natürlich auch Risiken für Mensch und Umwelt. Wie stehen Sie dazu?

Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Natürlich brauchen wir chemische Produkte, sie sind schon Teil unseres täglichen Lebens geworden. Ich glaube, das Problem entsteht durch das Streben nach immer mehr Wachstum. Die Unternehmen und Shareholder erwarten stetiges Wachstum, um konkurrenzfähig zu bleiben und die Einkommen der Mitarbeiter zu sichern. So werden immer mehr und mehr Produkte entwickelt und vermarktet nur um Wachstum zu gewährleisten. Ich frage mich, ob dieses Wachstum wirklich Sinn macht und ob wir so viele Produkte benötigen. Sind wir doch mal ehrlich, viele Menschen kaufen immer wieder Dinge, die sie eigentlich gar nicht brauchen und ersetzen noch gute durch neue Produkte. Dieses Problem ist allgegenwärtig und existiert nicht nur in der Chemieindustrie.

Was die Verschmutzung angeht, die während der Produktion von chemischen Erzeugnissen entsteht, so ist es weniger ein Problem der modernen Chemie als solche, sondern eher eine Frage der Menge. Chemische Verschmutzung existiert schon lange. Früher als sie noch nicht das heutige industrielle Maß erreicht hatte, konnte die Erde dies noch verkraften. Heute bringen wir die Erde an die Grenze Ihrer Kapazitäten.

In China ist die Verschmutzung bekanntlich besonders hoch. Denken Sie ausländische und lokale Firmen tragen hierzu denselben Anteil bei?

Sicherlich verursachen kleinere lokale Firmen und auch Staatsunternehmen deutlich mehr Verschmutzung. Teilweise kann man dies sogar schon als Verbrechen bezeichnen. Meiner Meinung nach halten große ausländische Unternehmen die Umweltauflagen normalerweise strenger ein und sorgen auch für eine stärkere interne Kontrolle.

Können Sie mir, als Head of R&D, Gründe nennen, warum die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen in China noch kein hohes Level erreicht haben?

Zum einen wird in China weniger Geld in Forschung und Entwicklung investiert. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass man sich in der Forschung sehr stark und über eine längere Zeit spezialisieren muss, um etwas zu erreichen. Das ist in China nicht so einfach. In meinem Unternehmen verdient das Personal in China, welches der mittleren Führungsebene untergeordnet ist, nicht sehr gut. Des Weiteren ist der Gehaltsunterschied bei einem Wechsel enorm hoch. Die Konsequenz ist offensichtlich: Häufige Jobwechsel, denn nur so kann ein anständiges Leben in den großen Städten gesichert werden. Darunter leidet die Forschung, da man oft nicht lange genug in einem Bereich forscht.

Sie sind schon vor einiger Zeit von Deutschland zurück nach China gezogen. War dies eine schwierige Entscheidung für Sie?

Das war es definitiv. In Deutschland hatte ich ein komfortables Leben und musste mir nicht viele Sorgen machen. In China waren die einfachsten Dinge auf einmal kompliziert. Man braucht für alles die richtigen Kontakte und es gibt unzählige ungeschriebene Gesetze, an die man sich halten muss. Das fängt schon an wenn es darum geht zeitnah einen Termin bei einem guten Arzt zu bekommen. Auch sind die öffentlichen Verkehrsmittel überfüllt, ganz zu schweigen von der Luftverschmutzung und der Lebensmittelsicherheit.  Ich musste zusätzlich so viel Energie für diese grundlegenden Dinge aufbringen. Das hat mir sehr zu schaffen gemacht.

Andererseits hat mir in Deutschland etwas gefehlt, was ich in China habe. Etwas Spirituelles, ich kann noch nicht einmal erklären was. Dieses Argument wog mehr als die materiellen Punkte und war entscheidend für mich.

Was ist Ihnen im Moment am wichtigsten in Ihrem Leben?

Für mich ist Karriere immer noch sehr wichtig. Ich möchte mein volles Potential entfalten und meinen Teil zu einer besseren Welt beitragen. Sehr wichtig sind mir natürlich meine zwei Kinder. Sie spielen eine sehr große Rolle für mich und ich setze alles daran, ihnen ein gutes, sicheres Leben zu bieten. Ich finde es schön, Zeit mit Ihnen zu verbringen, zu spielen und Ihnen etwas beizubringen. Sie lernen beispielsweise deutsch von mir und werden bikulturell erzogen. Früher war das natürlich noch kein großes Thema für mich, jetzt ist es das Wichtigste für mich.

Wenn Sie auf die erste Hälfte Ihres Lebens zurückschauen, würden Sie sich selbst als erfolgreich bezeichnen?

Ja, ich denke schon, dass ich mich erfolgreich nennen darf. Für mich persönlich bedeutet Erfolg, sein Wissen stetig zu vertiefen und zu erweitern. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen und die meisten meiner damaligen Spielkameraden wohnen noch immer dort. Ich hatte die Chance nach Shanghai zu gehen, dort zu studieren und später sogar nach Deutschland zu ziehen. Es war und ist mir immer noch möglich, meinen Horizont zu erweitern.

Viele technische Berufe sind auch heutzutage noch sehr starke Männerdomänen. Welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach eine Frau heutzutage spielen?

Meiner Meinung nach gibt es keine feste Rolle für Frauen. Ich denke es ist am wichtigsten, dass jeder selbst weiß, was das Beste für einen ist. Man sollte sich nicht zwischen Karriere und Kindern entscheiden müssen. Nehmen wir meine Familie als Beispiel. Momentan bin ich derjenige, der das Geld nach Hause bringt und meine Frau kümmert sich um die Kinder. Ich hätte aber auch nichts dagegen die Rollen zu tauschen und mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Mir wäre es sogar lieb. Dann könnte ich mich auf meinen Traum – Bücher zu schreiben – konzentrieren. Der Wert einer Person sollte nicht über den beruflichen Status definiert werden. Beruflicher Erfolg ist nur eine von vielen Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen und etwas zur Gesellschaft beizutragen.

Könnten Sie uns kurz erzählen, über welches Thema Sie Ihr Buch schreiben würden?

Ich würde gerne die deutsche der chinesischen Denkweise gegenüberstellen und über die Lebenssituation in beiden Ländern berichten. Wissen Sie, es gibt so viele Missverständnisse zwischen den beiden Kulturen, die verhindert werden könnten. Ich war schon in mehreren Ländern unterwegs und konnte mir so einen guten Überblick verschaffen. Ich würde gerne meine Erfahrungen zu diesem Thema mit anderen teilen.

Interview mit Ingenieur Qian Martin

Qian Martin, Mitte 30, arbeitet heute als Ingenieur in der deutschen Automobilindustrie. Seine Familie steht schon seit mehreren Generationen in enger Verbindung mit der deutschen Kultur. Seine Großmutter heiratete einen deutschen Mann, sein Vater verbrachte den größten Teil seines Lebens in Deutschland und so zog es auch Herrn Martin nach seinem Abitur in China hierher, um an einer deutschen Universität zu studieren. In diesem Interview berichtet Herr Martin von den unterschiedlichen Erfahrungen, die er mit der deutschen und chinesischen Kultur gemacht hat.

Herr Martin, Ihre Familie hat einen sehr internationalen Hintergrund. Würden Sie Ihre Geschichte für uns erzählen?

Gerne. Beginnen wir mit der Geschichte meines Großvaters. Er war Deutscher und hat meine Großmutter in einer durchaus schwierigen Zeit während des Koreakrieges (1950-1953) kennengelernt.

Aufgrund der schlechten Verhältnisse während der Kulturrevolution in China (1966-1976) zogen meine Großeltern mit meinem Vater nach Deutschland. Er ist also größtenteils in Deutschland aufgewachsen und konnte hier später eine Anstellung als Werksleiter finden.

Durch die Gründung eines Joint-Ventures seines Arbeitgebers in China, führten ihn seine Wege zurück in die Heimat, wo er das Unternehmen leitete. Dort hat er auch meine Mutter, eine Professorin für deutsche Kultur, kennen und lieben gelernt.

Wenig später wurde ich geboren. Ich wuchs in China auf und kam schließlich nach dem chinesischen Abitur zum Studieren nach Deutschland. Deutschland lässt uns wohl nicht mehr los.

Ihre Familie steht seit mehreren Generationen in enger Verbindung zur chinesischen und deutschen Kultur. Hat sich das in Ihrer Erziehung bemerkbar gemacht?

Während meiner Schulzeit nicht. Meine Mutter bevorzugte das chinesische Schulsystem und so besuchte ich eine nationale Grundschule. Ich würde sagen, ich wuchs wie ein ganz normaler Chinese in China auf und hatte bis zu meinem 19ten Lebensjahr auch keinen großen Kontakt mit der deutschen Sprache.

Man muss jedoch auch sagen, dass der Anteil Deutsch sprechender Chinesen zu dieser Zeit sehr gering war. So hatte meine Mutter als Professorin in diesem Bereich recht viel Freizeit und arbeitete zu 50 Prozent in China und zu 50 Prozent in Deutschland, bevor sie schließlich vor einigen Jahren komplett nach Deutschland umsiedelte.

Allerdings kam ich durch meinen Vater öfters mit seinen deutschen Arbeitskollegen in Kontakt.

Ihre Kindheit haben Sie in China verbracht. Hat Ihr deutscher Familienname Sie in dieser Zeit von Anderen distanziert?

Das wäre sicherlich möglich gewesen. Genau aus diesem Grund habe ich zwei Familiennamen, sowohl einen deutschen, als auch einen chinesischen. In China war ich unter meinem normalen chinesischen Familiennamen bekannt. Erst als ich im Alter von 19 Jahren nach Deutschland gekommen bin, habe ich den Namen meines Vaters angenommen.

Kurz nach meiner Ankunft in Deutschland musste ich aufgrund amtlicher Gründe meinen deutschen Namen offiziell führen. In China würde mir wahrscheinlich trotzdem niemand glauben, dass ich deutsche Gene in mir trage. Mein äußeres Erscheinungsbild ist ja zu 100 Prozent chinesisch. Da haben die Gene meiner Mutter eindeutig überhand genommen.

Verstehen Sie sich denn abgesehen von Ihrem Aussehen eher als Chinesen oder Deutschen?

Das ist schwierig zu beantworten. Ich würde mich selbst zu 75 Prozent als Chinesen und zu 25 Prozent als Deutschen bezeichnen. Es gibt wahnsinnig große Unterschiede zwischen den Chinesen zweiter Generation, die in Deutschland geboren sind und denen, die zum Studieren hierher kommen.

Diejenigen, die hier aufgewachsen sind, haben sich meiner Meinung nach weder in der deutschen noch in der chinesischen Kultur richtig integrieren können. Diese sind im positiven Sinne ein Fall für sich. Das Wort ‚einzigartig‘ trifft wohl am besten auf diese Menschen zu.

Sie kamen zum Studieren nach Deutschland. Sind Sie aus eigenen Beweggründen hierher gekommen oder hatte diese Entscheidung etwas mit Ihrer Familiengeschichte zu tun?

In China war ich kein sonderlich guter Student und wollte einfach etwas anderes sehen. Auch wenn meine Noten vielleicht nicht die Besten waren, so hatte ich doch eine gehörige Portion Pfiff und war stets offen für Neues. Deutschland bedeutete für mich Freiheit und das Bildungssystem hat mich gereizt.

Natürlich spielten auch meine Eltern bei meiner Entscheidung nach Deutschland zu gehen eine wesentliche Rolle.

‚Etwas Neues sehen‘ sagen Sie? Erinnern Sie sich denn noch an Ihren ersten Tag in Deutschland?

Ich erinnere mich sogar noch sehr gut an meine Ankunft hier. Samstags bin ich in Frankfurt gelandet und habe mich erst einmal gefragt: „Warum komme ich eigentlich nach Deutschland?“.

Die Stadt war ab 16:00 Uhr wie ausgestorben, keine Menschenseele war zu sehen. Das war schon etwas ganz Anderes für mich. Mein erster Eindruck war trotzdem sehr positiv. Die Deutschen sind wirklich hilfsbereit.

Wie bereits erwähnt konnte ich bei meiner Ankunft kein Wort Deutsch und dann musste ich auch noch ein Zugticket von Frankfurt nach Karlsruhe lösen und den Weg dorthin herausfinden. Ich war heillos überfordert. Glücklicherweise wurde meine Not bemerkt und ein Deutscher stand mir unterstützend zur Seite und begleitete mich den ganzen Weg. Diese äußerst positive Erfahrung werde ich nie vergessen.

Hatten Sie denn damals ein festes Bild von Deutschen?

Nein, eher nicht. Ich weiß, dass jeder Mensch anders ist und bin auch sehr offen Anderen gegenüber. Ich kenne auch viele andere Ausländer – Amerikaner und Neuseeländer zum Beispiel.

Mein internationaler Hintergrund und die damit verbundene interkulturelle Kompetenz hilft mir dabei Vorurteile vor einem anderen Licht zu sehen. Mit anderen Kulturen umzugehen, fällt mir deshalb leicht.

Und wie sind Sie mit den sprachlichen Schwierigkeiten umgegangen? Es gehört ja doch eine Menge Mut dazu, ein Studium in einem Land zu beginnen, dessen Sprache man nicht spricht.

Da haben Sie schon Recht. Allerdings wurde mir das Talent Sprachen zu lernen in die Wiege gelegt. Ich lernte also recht schnell Deutsch, was eher das kleinere Problem darstellte.

Mit den enormen Unterschieden in der Studienweise, hatte ich dann allerdings doch zu kämpfen.

Können Sie uns hierfür einige Beispiele nennen?

Der erste Unterschied, der mir spontan in den Sinn kommt, hat mit Sport zu tun. In China ist Sport ein Prüfungsfach, egal welche Studienrichtung man einschlägt. Wenn Sie mich fragen, war dieses Fach das Schlimmste für mich.

Auch die Art, wie der Unterricht geführt wird, bringt enorme Unterschiede mit sich. In China nehmen die Professoren eine sehr wichtige Rolle ein und tragen dementsprechend auch mehr Verantwortung. Ich würde fast sagen, sie agieren wie ein Elternteil.

Zu meiner Zeit verbrachte der Student in China eigentlich seinen ganzen Tag an der Universität. Besuchte er keine Vorlesungen, so war er im Lehrraum zu finden, wo er unter Kontrolle seine anstehenden Aufgaben erledigte. In Deutschland ist man da ja doch viel ungebundener.

Die Studenten werden also anders „erzogen“ sagen Sie?

Ja, so kann man sagen. Hier in Deutschland ist der Student eher ergebnisorientiert und handelt viel freier. Er ist für seine Note selbst verantwortlich, richtet seinen Blick auf das Ergebnis, aber den Weg zum Ziel bestimmt er selbst.

In China ist der Weg sozusagen vorgegeben, alles wird streng kontrolliert. Tagtägliches Üben ist angesagt. Auch hierbei steht einem der Professor zur Seite – nicht nur zur Kontrolle, sondern insbesondere für ein umgehendes Feedback.

Und welches System bevorzugen Sie persönlich?

Das ist eine gute Frage. Mittlerweile würde ich fast sagen, dass mir das chinesische System besser gefällt. Hätte ich Kinder, würde ich Sie wahrscheinlich auch nach China schicken, vorausgesetzt, die Regierung bekommt die Probleme mit der Umweltverschmutzung und der Lebensmittelsicherheit in den Griff.

Also streng nach dem Vorsatz „Vertrauen ist gut Kontrolle ist besser?“

(lacht) So kann man das natürlich auch sagen. Aber Sie haben Recht, das war wohl auch der Grund meiner Mutter, mich in China aufwachsen zu lassen.

Passiert nichts Schlimmes, kann auch nichts schief laufen und das ist durch die Kontrolle im chinesischen Schul- und Studiensystem ja quasi gewährleistet. Verhält sich ein Kind in der Schule nicht richtig, dann werden die Eltern direkt benachrichtigt.

Verstehen Sie mich nicht falsch – es geht mir hierbei nur darum, dass die Kinder behütet aufwachsen.

Sie könnten es sich also vorstellen auf lange Sicht zurück nach China zu ziehen?

Theoretisch schon, jedoch gibt es auch einige Probleme. Wie bereits angesprochen spielt die Verschmutzung, nicht nur der Luft, sondern auch der Lebensmittel, eine große Rolle. Gesundheit ist also ein Aspekt, der mich davon abhalten würde nach China zu gehen.

Und auch die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch. Mit meinem Gehalt könnte ich meine – noch nicht vorhandenen – Kinder also momentan nicht so unterstützen, wie ich es mir vorstelle und wünsche. Die nächsten 10 Jahre wird ein Ortswechsel wohl nicht anstehen.

Aber danach – wer weiß. Die Familie meiner Frau ist auch noch in China und meine Mutter möchte bestimmt auch mal zurück.

 

Das Interview führte Sonja Strempel. Der Name “Qian Martin” wurde von der Redaktion geändert.

Linktipp: NSA belauscht China (Handelszeitung)

Es ist wirklich ärgerlich. Die Einteilung der Welt in Gut und Böse wird immer problematischer!

Gott sei Dank haben wir noch Herrn Putin. Da ist der Fall ja völlig eindeutig – wenn man all die unbegreiflichen Versäumnisse der europäischen und amerikanischen Diplomatie im Umgang mit Russland und der Ukraine im Vorfeld der heutigen Lage einfach mal außer Acht lässt…

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Linktipp: Chinesische Mitarbeiter binden (CFOworld)

Der Artikel enthält einige interessante Gedanken: dass sich die in China vergleichsweise schnell zu- und abnehmende Begeisterung für Konsummarken auch auf Arbeitgebermarken übertragen lässt; dass die Wichtigkeit einer Balance im zwischenmenschlichen Austausch von vielen unterschätzt wird: viele Chinesen möchten Ihrem Arbeitgeber nichts schuldig bleiben; wenn der Ihnen  – vertreten durch die Vorgesetzten- dauerhaft mit echtem Interesse und Wohlwollen auf einer menschlichen Ebene begegnet, ist das oft ein überaus wirksamer Abwerbungsschutz.

Was mir aber zu kurz kommt: Chinas wirtschaftliche Entwicklung und die seiner Bürgergesellschaft stecken noch in den Kinderschuhen; junge Leute können etwa bei Problemen mit dem Arbeitgeber oder einem neuen Jobangebot meist nicht von den Erfahrungen älterer Freunde und Kollegen oder von denen ihrer Eltern profitieren, weil die in ganz anderen Verhältnissen gelebt haben. Also müssen sie mehr Erfahrungen selbst machen und das führt auch zu mehr Fehlern.

Hinzu kommt, dass sich ein einheitliches Einkommensniveau im Land gerade erst entwickelt. Selbst in ganz ähnlichen örtlichen und industriellen Strukturen werden mitunter vergleichbare Aufgaben um ein Vielfaches unterschiedlich bezahlt – besonders im Management. Entsprechend hoch ist der Gesprächs- und Erklärungsbedarf, wenn es um die Bezahlung geht – viele deutsche Arbeitgeber übersehen das und sprechen möglichst wenig über Geld.

Es gibt jedenfalls kein Gen, welches chinesische Mitarbeiter besonders wechselwillig machen würde;  das sieht man schon daran, dass die international ausgebildeten jüngeren Leute, die über Arbeitserfahrung in Europa verfügen, ein ganz ähnliches Verhältnis zur Arbeitgeberloyalität haben wie ihre europäischen Altersgenossen.

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Linktipp: Staat und chinesischer Partner sollen Peugeot retten (reuters)

Huh, Huh, Huh – was für ein Experiment: Ein ehemaliges chinesisches Staatsunternehmen und der französische Staat sanieren zusammen ein protestantisch patriarchalisches Automobilunternehmen.

Das wird entweder ein Desaster oder ein riesiger Schritt in der internationalen Völkerverständigung.

Vielleicht kommen ja die von Peugeot weitgehend verdrängten Gene der Citroen Vergangenheit zu neuen Ehren – die freigeistigen und multikulturellen Einstellungen und der eigensinnige Mut von Andre Citroen würden dieser Verbindung sicher gut tun.

Es wird aber auch interessant, die industrielle Logik hinter dieser Verbindung zu verstehen – zwei oder drei Milliarden sind in der Situation von PSA ohne ein wirklich intelligentes Konzept der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.

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Interview mit Ingenieur Ping Zhang

Ping Zhang, Mitte 30, war der beste Student aus seinem Studiengang sowohl an der chinesischen als auch an der deutschen Universität und arbeitet nun als Ingenieur in der deutschen Automobilindustrie. Er führt ein unbeschwertes Leben, wird gut bezahlt und hat eine glückliche Familie. Dennoch wünscht er sich für die Zukunft mehr Herausforderungen in seinem Arbeitsalltag. In diesem Interview teilt er mit uns mehr als 10 Jahre Erfahrungen und seine Meinung zu China und Deutschland.

Sind Sie zufrieden mit Ihrer aktuellen Situation?

Ich bin schon zufrieden, aber es könnte noch besser sein. Das Leben hier in Deutschland ist sehr geregelt. Allerdings fehlen mir ein wenig die Herausforderungen.

Gibt es Dinge, die Ihnen früher wichtig waren und die heute keine große Rolle mehr spielen?

Am Anfang meiner Karriere, war es mein Ziel, in einem der besten und renommiertesten Unternehmen Deutschlands zu arbeiten. Ich hatte gute Noten und mein Anspruch war sehr hoch. Heutzutage ist es wichtiger für mich, in einem Unternehmen zu arbeiten, das zu mir passt, mit dessen Werten ich mich identifizieren kann.

Für mich ist es wichtig, etwas zu bewegen und das Leben der Menschen durch meine Arbeit ein wenig zu verbessern. Ich habe viele Freunde, die in großen Konzernen arbeiten und sehr stolz darauf sind. Das Problem ist allerdings, dass sie sich meist nicht zu 100% mit ihrer Tätigkeit identifizieren und ihr volles Potential nicht entfalten können.

Momentan arbeite ich für einen größeren Mittelständler, weiß genau, welchen Wert ich bringe und bekomme ein direktes Feedback der Kunden, wenn ich etwas entwickle. Das ist ein tolles Gefühl für mich.

Gibt es jemanden den Sie bewundern?

Menschen, die Werte kreieren und ihre Interessen einsetzen, um etwas zu bewegen, bewundere ich. Durch ihre Arbeit verändert sich etwas in eine positive Richtung. Ich versuche auch meinen Teil hierzu beizutragen.

Beispielsweise hat mein Unternehmen eine automatische Schaltung auf dem chinesischen Markt eingeführt, die vielen das Leben erheblich vereinfacht hat. Das hat mich wirklich glücklich gemacht. Endlich konnte ich sehen, dass ich mein Studienwissen und meine Erfahrungen einbringen kann, um etwas zu bewirken.

Was denken Sie im Allgemeinen über Chinesen, die Ihr Studium in Deutschland fortgesetzt haben? Denken Sie,sie sind erfolgreich hier?

Meiner Meinung nach könnten sie in China erfolgreicher sein als in Deutschland. Chinesen, die hier ihr Studium weitergeführt haben, sind normalerweise die besten Studenten an der chinesischen Universität, meistens sogar unter den Top 5 Prozent.

Trotzdem haben sie nach 10 Jahren oftmals noch mittlere Positionen in meiner Industrie, wie Ingenieur- oder Projektmanagerposten. Um in Deutschland mehr zu erreichen, müssten sie offener und aktiver werden und sich der deutschen Gesellschaft mehr anpassen.

Denken Sie, es gibt viele gute Manager auf dem chinesischen Markt?

Viele Manager fassen zunächst Fuß auf dem deutschen Arbeitsmarkt und gehen dann wieder zurück nach China. Hierdurch steigt die Anzahl guter Manager natürlich stetig. Unser Unternehmen bietet beispielsweise jedes Jahr bikulturelle Workshops an, um Erfahrungen auszutauschen.

Dieses Angebot wird gerne von Chinesen in Anspruch genommen. Mein Vorteil Ihnen gegenüber schwindet somit von Jahr zu Jahr, da die Internationalisierung stetig voranschreitet. Ich habe das Gefühl, dass andere Kulturen immer mehr integriert werden.

Aber denken Sie nicht, dass Sie aufgrund Ihrer fachlichen Qualifikationen einen Vorteil gegenüber den lokalen chinesischen Managern haben?

Ja, das stimmt. Mein fachliches Wissen und meine Erfahrungen können nicht so schnell „überholt“ werden. Die Forschung und Entwicklung, vor allem auf dem technischen Gebiet, hier in Deutschland ist deutlich ausgeprägter als in China. In Deutschland bleiben die Ingenieure oftmals lange bei einem Unternehmen, meistens für zehn oder sogar zwanzig Jahre.

In China herrscht hingegen ein reger Arbeitsplatzwechsel, weshalb die Kenntnisse nicht tiefer gehen und eher oberflächlich bleiben. Um zu verstehen, warum die lokalen Chinesen häufig wechseln, muss man wissen, dass in den großen Städten, wie in Shanghai, ein großer finanzieller Druck herrscht und die Gehaltsunterschiede in China zwischen verschiedenen Unternehmen und Positionen sehr groß sind. Bei einem Wechsel steigt das Gehalt teilweise um 50 Prozent an. Bleibt man jedoch bei einem Unternehmen, sieht es häufig mit den Gehaltserhöhungen nicht ganz so gut aus.

In Deutschland ist das anders. Die Gehaltsunterschiede sind nicht so groß. Man kann seine Arbeit ohne große Sorgen bewältigen und sich auf die Ausführung der einzelnen Aufgaben konzentrieren.

Welche weiteren Vorteile sehen Sie gegenüber den lokalen Managern?

Abgesehen von den fachlichen Qualifikationen, spielt die Kommunikation eine wichtige Rolle. Es gibt immer viele Probleme aufgrund der kulturellen Unterschiede zwischen China und Deutschland. Da ich beide Kulturen kenne und lebe, fällt es mir leichter zwischen beiden Parteien zu vermitteln.

Um ein Beispiel zu geben: Treten wir mit unserer Tochterfirma in China in Kontakt, so werden 30 % der Zeit benötigt, nur um Kommunikationsprobleme zu beseitigen. Nicht nur die Sprache spielt hierbei eine Rolle, sondern vor allem die Denkweise.

Ein Beispiel aus unserer Entwicklungsabteilung: Meine deutschen Kollegen orientieren sich stark an Ihrem meist mehrere Monate zuvor erstellten, nicht mehr abänderbaren Ablaufplan und folgen diesem. Das Gleiche erwarten sie von den Chinesen, aber diese arbeiten anders. Sie ändern ihre Pläne gerne kurzfristig ab, sind etwas flexibler.

Und wie lösen Sie dieses Problem, wenn sie nach China geschickt werden?
Ich versuche die Kommunikation zu verbessern und aufrecht zu erhalten. Ich würde sagen, dass unsere deutschen Ingenieure die Kommunikation mit den chinesischen Ingenieuren aufgrund dieser Problematik vermeiden. Sie mögen es nicht, wenn sich die Pläne andauernd ändern und folgen daher Ihrem Plan, ohne diese mit China abzusprechen.

Wäre ich in dieser Position, dann würde ich mich darum bemühen, einen Kommunikationskanal herzustellen und meine Kollegen zusammenzubringen. Das ist nur möglich, da ich beide Denkweisen kenne und verstehe.

Welche Medien nutzen Sie täglich? Und was denken Sie über die Darstellung Chinas in diesen?

Ich schaue ZDF, lese die Zeitung des Vereins Deutscher Ingenieure und auch lokale Zeitungen. Die deutschen Medien sehen die Dinge meistens eher kritisch, aber doch relativ fair und versuchen die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ich habe das Gefühl, dass Deutsche, die schon einmal in China gelebt haben, China positiver darstellen als diejenigen, die mit der Kultur kaum vertraut sind.

Natürlich spielt es auch eine Rolle, welche Industrie über China berichtet. Betrachten wir beispielsweise die Automobilindustrie, so lässt es sich sagen, dass diese im Allgemeinen eher konservativ eingestellt ist.

Welche Mitarbeiter sendet Ihr Unternehmen nach China?

Das kommt auf das Aufgabenfeld an. Mitarbeiter aus der Entwicklungsabteilung werden eher nicht nach China geschickt, wohingegen Mitarbeiter aus dem Marketing oder der Logistik gerne versendet werden. Forschung und Entwicklung ist ein heikles Thema für die Deutschen, aufgrund der Angst kopiert zu werden. Diese Angst wird von den deutschen Medien noch geschürt.

Und was ist Ihre Meinung zu diesem Problem?

Ich denke, deutsche Unternehmen könnten noch internationaler werden. Meiner Meinung nach sollten Mitarbeiter gleich angesehen werden, unabhängig davon, ob sie in China oder in Deutschland sitzen. Sowohl die deutschen als auch die chinesischen Mitarbeiter kreieren Werte für das Unternehmen, versuchen es voranzubringen. Würden alle Mitarbeiter ähnlicher behandelt werden, dann wäre dieses Problem vielleicht gar nicht so groß.

Um noch kurz auf die Angst des „kopiert zu werden“ zu sprechen zu kommen: Nach einer Lokalisierung in China, sinken die Kosten für deutsche Unternehmen und die Produkte werden wettbewerbsstärker aufgrund des niedrigeren Preises. Das Risiko kopiert zu werden wird deshalb durch die Verlagerung aus meiner Sicht kleiner und nicht größer.

Natürlich besteht dann immer noch das Risiko, dass „Insiderwissen“ weitergegeben wird. Aber besteht das nicht überall? Wenn Deutsche ihren Arbeitsplatz wechseln, nehmen sie doch auch ihr Wissen mit.

Was vermissen Sie am meisten hier in Deutschland?

Die Freunde aus meiner Kindheit, meine Schulfreunde und die chinesischen Studienkollegen. Ich habe auch hier in Deutschland studiert, allerdings gibt es Unterschiede zwischen meinen Studienkollegen hier und denen in China.

In Deutschland hatte ich das Gefühl, dass eine größere Distanz zwischen meinen Kommilitonen und mir vorhanden war. In China gab es einen größeren Zusammenhalt.

Treffe ich jetzt beispielsweise chinesische Studienkollegen, dann unterhalten wir uns über gemeinsame Erlebnisse, teilen unsere Erinnerungen. Uns verbindet mehr als nur das Studium.

Kommen wir nun auf ein anderes Thema zu sprechen. In China sind die Menschen ja bekanntlich sehr leistungsorientiert, erwarten Sie von Ihren Kindern hier in Deutschland das Gleiche?

Meiner Meinung nach müssen Kinder glücklich sein, gute Noten sind nicht alles. Wichtiger ist es, ihre Interessen zu fördern, herauszufinden, was sie wirklich antreibt und ihnen liegt. Freizeit muss auch sein. Ich spiele beispielsweise Fußball mit meinen Kindern, zeige Ihnen aber auch, wie man programmiert.

Ist es wichtig für Sie, dass Ihre Kinder fließend Chinesisch sprechen können?
Ich finde es wichtig, dass sie ihren Ursprung nicht vergessen, um sich selbst zu kennen. Natürlich hoffen wir als Eltern, dass sie die Sprache lernen und beherrschen möchten, aber ich dränge sie nicht dazu. Meine Frau ist da schon etwas strenger. Meine Kinder können fließend sprechen, nur mit dem Schreiben haben sie noch ihre Probleme. Deshalb drängt ihre Mutter sie schon dazu, ihr Chinesisch zu verbessern.

Falls es also ein passendes Jobangebot in China geben würde, würden sie dann einen Umzug nach China in Erwägung ziehen?

Natürlich würde ich darüber nachdenken und zuschlagen, wenn die Stelle zu mir passen würde. Ich habe auch schon mit meinen beiden Kindern über dieses Thema gesprochen und beide würden nicht nach China ziehen wollen. Ich denke, ich müsste sie im Fall der Fälle nochmals darauf ansprechen und versuchen, sie zu überzeugen.

Würden Sie sich dann nicht Gedanken über die Umweltverschmutzung und die Lebensmittelsicherheit in China machen?

Vor einigen Jahren habe ich mich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt. Heute spielt die Umweltverschmutzung und die Lebensmittelsicherheit schon eine wichtigere Rolle für mich. Allerdings wäre dies nicht der ausschlaggebende Punkt für die endgültige Entscheidung, einen Umzug nach China zu wagen oder nicht.

Was ist das größte Problem, das China zu bewältigen hat?

Ich denke, China muss die Demokratisierung und Privatisierung vorantreiben. Viele Probleme wären gelöst, wenn das private Eigentum gesichert wäre.

Eine letzte Frage: Würden Sie gerne für kurze oder lange Zeit nach China gehen?

Das kommt darauf an, ob sich eine Demokratie entwickeln wird. Könnte ich meinen Teil hierzu beitragen, wäre das etwas sehr Besonderes für mich. Es ist also schwierig zu sagen, ob ich für eine kurze oder lange Zeit nach China gehen würde.

Das Interview führte Wei Fischer.

Linktipp: China will Einwanderung ausländischer Top-Talente erleichtern (china.org.cn)

Man traut seinen Augen kaum – aber wie sich die Bilder gleichen! Auch China möchte jetzt ausländische Fachkräfte gewinnen! (Um eine Rückkehr der qualifizierten Chinesen im Ausland bemüht sich das Land schon länger).

Wang Huiyao, Leiter des Zentrums für China und Globalisierung, sagt, China habe seit Jahren ein „Defizit“ an Talenten. Allein im Jahr 2012 erhielten mehr als 148.000 Chinesen eine Staatsangehörigkeit im Ausland, während nur 1202 Expatriates ein ständiger Wohnsitz in China gewährt wurde.

Das wird ein langer Weg, setzt aber an der richtigen Stelle an: Der Mangel an guten Fachkräften und gutem Management ist bereits heute so gravierend in China, dass er das Wachstum der Wirtschaft unmittelbar behindert. Und er wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen.

Zum Artikel

Linktipp: Korruptes China – Kampf gegen Fliegen und Tiger (FAZ, Petra Kolonko)

Auf Chinas Weg zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung gibt es viele große Hürden. Am sichtbarsten auch für Außenstehende sind wohl die Umweltthemen. Die größte Ansteckungsgefahr für den Westen geht wahrscheinlich von der enormen Menge fauler Kredite im Land aus.

Die absolut größte Bedrohung aber ist auf mittlere und lange Sicht die Korruption in Staat und Partei. Die hat – gerade bei Staatsdienern – im Land zwar eine lange Tradition und offensichtlich den bisherigen rasanten Aufstieg nicht verhindert.

Mit den enormen Geldsummen, um die es inzwischen geht, mit dem zunehmenden Wohlstand und der großen Wirtschaftskraft des Landes potenzieren sich aber die Korruptionsprobleme. Wie dieses Thema ohne Freiheit von Medien und Meinungsäußerung wirksam bekämpft werden soll, ist ein Vorgang ohne geschichtliches Vorbild.

Man darf sehr gespannt sein, ob ein zentralistisch organisierter Fünf-Jahresplan zur Selbstreinigung nennenswerte Erfolge hervorbringt!

Zum Artikel von Petra Kolonko